Warum historisches Interesse?  – statt einer Vita


Am Dienstag, den 5. März 1957 um 1.00 Uhr in der Nacht in Solingen geboren, habe ich nur knapp das Recht verfehlt, mit dem Karnevals-Evergreen „Am Rosenmontag bin ich geboren“ meine Mitmenschen traktieren zu dürfen. 

 

Als Kleinkind genoss ich es, wenn mein Vater mir von den Bremer Stadtmusikanten, von Hans im Glück und dem tapferen Schneiderlein erzählte. Zurückblickend meine ich erkannt zu haben, dass mich besonders jene Märchen faszinierten, in denen Menschen unterprivilegierter Schichten wider Erwarten zu einem glücklicheren Leben kamen. Natürlich aber haben auch andere Märchen mich interessiert.

 

Wenn ich solchen lauschte, in denen Königinnen oder Könige, Prinzessinnen oder Prinzen eine Rolle spielten, wie dies bei dem Märchen vom Froschkönig sowie von Schneewittchen der Fall ist, dann phantasierte ich die Handlung nach Schloss Burg, acht Kilometer von meinem Elternhaus entfernt. Oft und gern führte mich der Weg, mal mit meinen Eltern, mal mit den Großeltern, dorthin. Dort, in der einstigen Burganlage der Grafen von Berg, erhielt ich einen ersten Eindruck von Geschichte und Kultur des Mittelalters. Soweit ich Einfluss darauf nehmen konnte, welches das Ziel der obligatorischen Sonntagsausflüge sein sollte, wünschte ich mir einen Besuch in der Burg, deren Wandgemälde in Rittersaal, Kemenate und Kapelle, die bedeutsame Ereignisse des einstigen dortigen Lebens darstellen, mir näher und lebendiger waren, als manches, was das Fernsehen für Kinder an Sendungen bereit hielt.  

In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass meine Eltern ein erstes Fernsehgerät kauften, als ich 8 Jahre alt war. In eben diesem Jahr kam mir ein für Volksschulen bestimmtes Geschichtsbuch vor Augen, in dem es die graphische Darstellung eines Kindes, etwa ebenso alt wie ich, gab, das in einem Bergwerk eine Lore vor sich her schob. 

 

So wurde ich mit der mir bis dahin unbekannten Tatsache konfrontiert, dass es einst Kinderarbeit gab, Mädchen und Jungen auch unweit meiner Heimat, in den an der Ruhr gelegenen Städten, bis zu zwölf Stunden täglich in den dunklen und feuchten Stollen der Bergwerke schwerste Arbeiten zu leisten hatten. Erst im Jahre 1904 wurde die Arbeit von Kindern unter zwölf Jahren verboten.

Einem behütenden Elternhaus entstammend und über ausreichend freie Zeit verfügend, um meinen Träumen nachzugehen, meinen kindlichen Neigungen zu folgen, schockierte mich meine neu gewonnene Erkenntnis sehr. Beinahe zwangsläufig stellte ich mir die Frage, was sich wohl sonst noch in der hiesigen Region zugetragen haben mag, wovon mir nichts bekannt war. So erhielt mein zuvor schon bestandenes historisches Interesse einen enormen Schub. 

 

Mein Interesse an Geschichte, insbesondere Lokal- und Regionalgeschichte, habe ich so nicht an eine Historikerkarriere verraten. Dafür hat mich mein geschichtliches Interesse nicht verlassen. Ich hoffe, dass etwas von meiner Passion sich jenen mitteilt, die meine Vorträge besuchen, meine Bücher lesen.

Von Geschichte und Geschichten (Märchen, Sagen, Legenden) handelten die Bücher, die ich vorzugsweise las, als meine Klassenkameraden Comics (z. B. „Fix & Foxi“, „Pauli“), später „Bravo“ für sich entdeckten.

 

„Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!“ (Friedrich Nietzsche, 1844-1900).

 

Es heißt nicht ohne Grund, dass Märchen die Seele eines Volkes abbilden. Die Märchengestalten stehen symbolisch für die Möglichkeiten, die bestehende Welt zu ändern. Eine Welt, in der etwa 930 Millionen Menschen keine ausreichende Nahrung haben, in der täglich beinahe 30 000 Menschen sterben, mehr als die Hälfte davon Kinder, während ein anderer Teil der Menschheit sich mit perversem Luxus umgibt, bedarf mehr denn je der Veränderung. So war es mehr als der pure Selbsterhaltungstrieb, der mich Sozialarbeit studieren ließ. Im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten wollte ich zu der notwendigen Veränderung beitragen. Seit über 30 Jahren bin ich nun beim Jugendamt Solingen als Sozialarbeiter beschäftigt – nach wie vor mit Engagement.


„Machen wir uns doch von der Geschichte frei. Ich sage nicht: von der Geschichte, ich sage: von der Tyrannei der Geschichte.“ (Christian Morgenstern (1871-1914)


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